S. Neuenfeld, I. Lochmann, H. Kniel
Merck KGaA, Zentrale Verfahrensentwicklung, 64271 Darmstadt
Vor dem Scale-up der Synthese und der Herstellung größerer
Mengen von Wirkstoffkandidaten für vorklinische und klinische Studien
ist es dringend erforderlich, ein mögliches polymorphes bzw. pseudopolymorphes
Verhalten zu untersuchen. Bei einem Scale-up vom Labor zum Technikumsmaßstab
können sich auf Grund sich stark unterscheidender Prozeßbedingungen
unterschiedliche Kristallformen bilden. Die unterschiedlichen physikalischen
und chemischen Eigenschaften von polymorphen/pseudopolymorphen Kristallformen
führen zu unterschiedlichen pharmazeutischen Eigenschaften wie Bioverfügbarkeit
oder Formulierungsverhalten. In einer frühen Phase der Entwicklung
eines neuen Wirkstoffes sollte ein Polymorphiescreening durchgeführt
werden, d.h. gezielt nach möglichen Polymorphen bzw. Pseudopolymorphen
gesucht werden (1). Das Ziel ist dabei die Entdeckung von verschiedenen
Kristallformen unter prozeßrelevanten Bedingungen. Dabei sei auch
auf entsprechende Richtlinien der FDA verwiesen (solid state forms do not
have to be created by techniques or conditions that are irrelevant to the
synthetic process (2).
Der zentrale Schritt eines Polymorphiescreenings ist die Herstellung der Wirkstoffendstufe unter verschiedenen Prozeßbedingungen. Es ist bekannt, daß durch Umkristallisation oder durch Lösungsmittelverdampfung aus Wirkstofflösungen in verschiedenen Lösungsmitteln verschiedene polymorphe Formen oder Solvate erhalten werden können. Die Betrachtung des letzten Prozeßschrittes der Wirkstoffherstellung kann aber wesentlich aufschlußreicher sein. Bei diesem letzten Prozeßschritt handelt es sich oft um eine Herstellung der festen Phase durch Fällung des Wirkstoffes durch Salzbildung aus einer Lösung der Neutralverbindung oder Neutralisation aus einer Salzlösung. Diese Fällungsreaktionen sollten unter variablen Prozeßbedingungen durchgeführt werden, wobei der Einfluß von Temperaturen, Temperaturprofilen, Lösungsmitteln, Lösungsmittelgemischen, Konzentrationen, Stöchiometrien, pH-Werten usw. betrachtet werden kann. Als Ergebnis kann dann der Einfluß der Prozeßparameter auf die Bildung verschiedener Kristallformen beschrieben werden, wobei auch die Reproduzierbarkeit des Verfahrens, die Scale-up-Fähigkeit und die Möglichkeit zur Optimierung beachtet werden muß. Als Beispiel sei die Fällung eines Benzimidazolderivates genannt, wo durch eine einfache Variation der Fällungstemperatur und der Trocknungsbedingungen sechs verschiedene Kristallformen erhalten wurden.
Zum Screeningverfahren gehört auch die analytische Charakterisierung der erhaltenen Kristalllformen. Zum einen erlauben Methoden wie Röntgenbeugung, IR-Spektroskopie oder Raman-Spektroskopie eine analytische Unterscheidung von Kristallformen, zum anderen ermöglichen die Untersuchung der thermischen Eigenschaften (Schmelzverhalten, Festphasenübergänge, Umwandlungsverhalten und -kinetik, Desolvatation), die Betrachtung des Solvatationsverhaltens (Hygroskopizität, Festkörper-Gas-Reaktionen, Festkörper-Flüssigkeits-Reaktionen) und die Bestimmung des Auflöseverhaltens (Löslichkeitsprofile) eine Beschreibung der Stabilitätsbeziehungen, die Detektion der thermodynamisch stabilen Formen oder der aus Sicht der Verfahrensentwicklung und pharmazeutischen Entwicklung praktikabelsten Form.
(1) Neuenfeld, S.: Anwenderseminar Thermische
Analyse - Würzburger Tage 1998, H. Utschick (Hrsg.), ecomed-Verlag,
1999, 92-115
(2) Quality Control Reports "The Gold Sheet",
Vol. 30 (1996) 3
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