Rückblick GEFTA Jahrestagung 1999

Anwendungen der Thermischen Analyse und Kalorimetrie bei Sicherheitsbetrachtungen in der Chemischen Industrie

Prof. Dr. Francis Stoessel
Eidgenösssische Technische Hochschule Lausanne


Thermoanalyse, Kalorimetrie und Sicherheit haben eine lange gemeinsame Vergangenheit. Auch wenn für den Chemiker die Wärmeentwicklung oft nur eine physikalische Begleiterscheinung einer Reaktion bildet, hat jeder schon bei der Durchführung einer Reaktion im Labormassstab ein "Gefühl" entwickelt, ob man mehr oder weniger heizen oder kühlen muss, um eine Reaktion bestimmungs-gemäss durchzuführen. In den sechziger Jahren, als in der Spezialitätenchemie die Produktions-massstäbe der Zunahme der Nachfrage folgend immer grösser wurden, ist auch das Bewusstsein betreffend der thermischen Effekte von Reaktionen gestiegen, was auch einen bedeutenden Zuwachs des Datenbedarfs mit sich brachte. Um diese Bedürfnissen zu befriedigen, wurden zum Teil neue Messmethoden entwickelt, aber auch bestehende Methoden zweckentfremdet und spezifisch für die Sicherheit weiterentwickelt.

In diesem Beitrag wird versucht, einen Überblick zu geben über die thermo-analytischen und kalorimetrischen Methoden, die zur Beantwortung der Fragen der industriellen Prozess-Sicherheit wie der thermischen Stabilitäten, der Charakterisierung von Zersetzungsreaktionen, und Beherrschung von Synthesereaktionen entwickelt wurden.

Einige thermische Analysemethoden wurden empirisch entwickelt, um es jedem möglich zu machen, die thermischen Effekte, wenn auch manchmal nur semi-quantitativ, aber jedenfalls auf einfachem Wege zu ermitteln. Einige dieser Methoden gelten heute noch als Standard oder sind Bestandteil von Normen. Diese sind aber hauptsächlich der Untersuchung von unerwünschten Nebenreaktionen wie Zersetzungen gewidmet. Parallel dazu wurden auch bestehende Messmethoden aus den physikalisch-chemischen Laboratorien zweckentfremdet und für Sicherheitsbelange eingesetzt: Die DSC bildet ein typisches Beispiel dafür, indem heute DSC weit verbreitet als Screening-Methode für thermische Stabilitäten eingesetzt wird. Weiterhin wurden für Lagerstabilitäten hochempfindliche Kalorimeter, die ursprünglich für den Einsatz in biologischen Systemen gedacht waren, eingesetzt: Diese erlauben die Messung von Wärmeentwicklungen im Bereich von einigen mW/kg, die bei der Sicherheit von Lager- oder Transportbehältern bestimmend sind.

Um den Verlauf von thermischen Explosionen möglichst direkt und quantitativ zu untersuchen, wurden auch adiabatische Kalorimeter entwickelt, welche zwar erlauben den Temperaturverlauf durchgehender Reaktionen zu bestimmen, aber darüberhinaus noch die Druckeffekte, welche letztlich bei einem Ereignis die echte Schadenursache bilden, zu ermitteln. Eine zweite Entwicklungswelle brachte Instrumente auf den Markt, die speziell für die Auslegung von Notentlastungssystemen gedacht waren.

Für die erwünschten Reaktionen wurden Kalorimeter verlangt, die nicht nur in der Lage waren Reaktionswärmen zu messen, sondern dies unter Arbeitsbedingungen, die nicht zu stark von den betrieblichen entfernt sind. Deshalb wurden in den verschiedesten Chemiefirmen Eigenentwicklungen vorgenommen. Diese Geräte sind zwar für die Lösung von Sicherheitsproblemen entwickelt worden, haben aber einen sehr breiten Einsatz in der Reaktionstechnik oder sogar in der allgemeinen Verfahrenstechnik gefunden.

Obschon es noch Platz für weitere instrumentellen Entwicklungen wie z.B. ein ideal-adiabatisches Kalorimeter, das unter Druck eingesetzt werden kann oder ein einfaches Reaktionskalorimeter gibt, liegt das grösste Entwicklungspotential auf der methodologischen Ebene. Dass Verfahrensentwickler in der Lage wären, die Belange und Möglichkeiten der Kalorimetrie und Thermoanalyse zu kennen resp. zu nutzen und umgekehrt, dass Physiko-Chemiker ein Verständnis für die Aufgaben der Verfahrens-techniker entwickeln würden, ergäbe wirkliche Chancen für neue wegweisende Fortschritte sowohl in der Kalorimetrie und Thermoanalyse, als auch in der Entwicklung inhärent sicherer Verfahren.

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